Gleich vorab - das Thema, das ich im heutigen „Alois Selker: ganz persönlich“ anpacke, ist ein großes. Eines, das bei mir ganz viele verschieden Gedanken auslöst. So viele, dass ich sie - einmal an die Tastatur gesetzt - in einem Fluss runtergetippt habe. Um euch aber nicht zuzutexten, teile ich sie in mehrere, verdaubare Beiträge auf. Und jetzt genug der Vorgeschichte, um was geht’s: die landwirtschaftliche Urproduktion und ihren Stellenwert in der Wertschöpfung.
Und da sind wir schon mittendrin im Thema und ich leg gleich mal den Finger in die Wunde. Ich finde es bedenklich und erschütternd, dass auf Handelstagungen über die Bauern geschimpft wird. Wie undankbar, verständnislos und polarisierend die Landwirtschaft in ihrer Argumentation ist.
Und wenn ich dann auf eine Veranstaltung der Landwirte gehe und die Aussendungen der bäuerlichen Interessensvertretung lese, wird dort der Handel als Monster, Bauern- und Zukunftskiller hingestellt.
Hier prallen offenbar zwei Welten aufeinander. Und es hat fast den Anschein, dass sie einander nicht verstehen können oder wollen. Zu unterschiedlich sind ihre Weltansichten.
Und dann kommt noch eine weitere Tatsache dazu: Als Produzenten haben wir den Verkauf und die Veredelung/Verarbeitung der Produkte zum Großteil aus der Hand gegeben. Ob das richtig oder falsch ist, will ich hier gar nicht kommentieren.
Interessanterweise wird aber in den meisten Diskussionen der mittlere Teil der Wertschöpfung, also die Verarbeitung, gar nicht erwähnt. Obwohl sie auch einen sehr großen Kuchen vom Wertschöpfung braucht. Fakt ist, dass wir alle nur von dem Leben können, was wir verkaufen, und nicht von dem, was wir produzieren. Wir erzeugen als Bauern zum größten Teil Urprodukte oder Rohstoffe, die eine weitere Verarbeitung brauchen, bevor sie im Supermarkt-Regal angeboten werden können.
Und das bringt mich zu einigen Fragen, die mich als Landwirt sehr beschäftigen:
Warum schaut es so aus, als ob wir Bauern, als Erzeuger der Urprodukte, das schwächste Glied der Nahrungskette sind?
Warum scheint es, als ob wir die vorgegebenen Preise pro Erzeugungseinheit hinnehmen müssen, während die restlichen Glieder der Kette das anders handhaben können?
Warum kämpfen wir ums Überleben, schaffen es zum Teil nicht mal die nötigen Produktionskosten zu decken, von den Fixkosten gar nicht zu reden?
Warum ist die Zukunft der Bauernhöfe aus wirtschaftlichen Gründen so dermaßen in Gefahr?
Worin unterscheiden sich die Bedingungen und Handlungsweisen der anderen Glieder in unserer Nahrungskette von jener der Bauernschaft?
Lauter große Fragen für mich – die Antworten darauf kann ich nur teilweise aus Erfahrungen und Erlebnissen berichten, der andere Teil sind reine Vermutungen:
Wir als Produzenten sind es gewohnt und gezwungen, langfristig zu denken. Unsere Investitionen brauchen viele Jahre und Jahrzehnte bis eine Amortisierung eintritt. Unsere Rohstoffe brauchen mindestens ein ganzes Jahr, bis sie verkaufsfähig sind.
Bis ich als Rinderbauer aus einem Kalb eine Kuh großgezogen habe, die Milch gibt, braucht es sogar mehr als zwei Jahre. Vom Kalb bis zum verkaufsfertigen Maststier etwas weniger als zwei Jahre.
Außerdem müssen wir unsere Produktion in Abhängigkeit der Natur bzw. dem Risiko von Naturkatastrophen schaffen. Wenn eine Überschwemmung kommt, eine Dürre eintritt oder der Hagel drüber geht, ist dieser Teil des Jahresumsatzes weg und der Kreislauf beginnt auf eine Zeitspanne von einem Jahr von vorne (ausgenommen möglicher Versicherungsleistungen zur Abfederung der Kosten).
Wenn wir heute eine Produktionsrichtung oder eine Produktentwicklung mit allen dazu nötigen Investitionen und Haftungen einschlagen, wissen wir erst in einem Jahr oder noch später, ob das funktioniert. Wenn es nicht funktioniert, haben wir unser Geld versenkt und bleiben auf den Kosten sitzen.
Und in Anbetracht alle dessen stellt sich mir jetzt die Frage: Wie kommen wir zu einer Preisbildung, mit der wir leben können und auch das Produktionsrisiko entschädigt wird? Und auch hier rattern wieder viele Gedanken bei mir ab, die ich gerne im nächsten Beitrag mit euch teilen.
Für heute möchte ich mit einem Wunsch schließen. Ich glaube, was wir entlang der gesamten Wertschöpfung brauchen, damit sich was ändert, ist einmal eine Kommunikation auf Augenhöhe. Wir sollten uns bewusst machen, dass wir uns gegenseitig brauchen. Der Produzent braucht die Vertriebsplattform und die Vertriebsplattform braucht den Produzenten, die Verarbeitungsbetriebe in der Mitte brauchen ebenso beides. Alle drei Glieder in der Kette - Rohstoff-Erzeugung, Verarbeitung und Vertrieb – brauchen einander. In welcher Struktur, das ist schon wieder eine andere Geschichte. Mehr dazu ein anderes Mal.
PS: Ich freue mich, wenn ihr eure Sicht der Dinge mit mir teilt – kommentieren, schreiben, anrufen. Durchs Reden wird die Welt besser.
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